Passt ganz gut:
SPIEGEL ONLINE
19. November 2014, 20:20 Uhr
Deutsche Band Aid
Wie über Ebola singen, ohne komplett idiotisch zu klingen?
Von Philipp Oehmke
Bob Geldof war am Telefon. Campino hoffte, er wolle nur über Fußball sprechen - doch dann hat er ihn überredet, eine deutsche Band für Afrika auf die Beine zu stellen. Die war nun in Berlin im Studio. Ein Ortstermin.
Campino, der Sänger der Toten Hosen, hat an diesem Morgen schon seinen Sohn zur Schule gebracht, eine Stunde lang in einer Radiosendung gesessen, und jetzt, um kurz nach zehn, droht der Tag kompliziert zu werden. Er ist in seinem Auto unterwegs durch den Südwesten Berlins, nach Steglitz zu einem Aufnahmestudio, in das er für diesen Tag ungefähr dreißig deutsche Popmusiker einbestellt hat, mit denen zusammen er an einem einzigen Tag - bis 23 Uhr muss alles fertig sein - eine deutsche Version des dreißig Jahre alten Charity-Klassikers "Do They Know it's Christmas?" aufnehmen muss.
Campino hatte sich von Bob Geldof überreden lassen, die deutschen Musiker anzurufen, zu bequatschen und zusammenzutrommeln, was natürlich eine Höllenaufgabe war. Keiner hat erstmal Lust zu so etwas. Der Song "Do They Know It's Christmas?" ist natürlich nicht wirklich cool, erst recht nicht aus Tote-Hosen-Perspektive, Afrika-Aktionen von Popstars haben ohnehin einen schlechten Ruf und zu guter Letzt ist auch noch Bono mit dabei. Er sei gerade in Spanien gewesen, erzählt Campino, vor zwei Wochen, da hätte Geldof angerufen. Vor Jahren, nach dem G8-Gipfel in Schottland, hatte Geldof Campino und ein paar seiner Tote-Hosen-Kollegen verdonnert, doch mal nach Afrika zu reisen, damit sie verstünden, worum es da gehe. Er hatte ihnen eine Reise zu Oxfam in verschiedenen Ländern organisiert. Seitdem ist Campino Geldofs Mann, wenn es um Afrika geht.
Jetzt war er am Telefon. Campino hoffte, dass Geldof nur über Fußball reden wollte, doch als er sagte, du, ich habe da eine Idee, wusste Campino schon: Ach, du Scheiße. Er sei von den Vereinten Nationen gefragt worden, sagte Geldof, es gebe viel zu wenig Geld für die Ebola-Bekämpfung, ob er was machen könne. Und er habe seinen Kumpel Bono angerufen und Chris Martin von Coldplay, die seien dabei und viele andere auch. Campino glaubte erst, dass er nach London kommen solle, um auch eine Zeile einzusingen, okay, halb so schlimm.
Doch dann sagte Geldof, er, sein "Freund Cämpi", würde dasselbe jetzt bitte für Deutschland auf die Beine stellen. Ach, du Scheiße. In zwei Woche müsse der Song fertig sein. Außerdem müsse Campino natürlich schnell einen deutschen Text schreiben, da müsse irgendwie Weihnachten drin vorkommen, aber natürlich auch Ebola und Afrika und am besten die Verlogenheit des Westens: Ach, du Scheiße, ach du Scheiße, warum war er bloß ans Telefon gegangen?
Bevor er auflegte, erzählte Geldof Campino noch, dass es natürlich die Hölle werden würde, dass Campino es hassen werden würde, all die anderen Musiker anzurufen. Denn einige, die sonst auf Verleihungen und im Backstage auf dufte ankommen, werden sich verleugnen, sie werden sich zieren, sie werden ihm sagen, dass so ein Song schlecht für ihr Image sei, dass ihnen das zu uncool sei.
Campino musste schlucken. Und weil alles genauso kam, wie Bob es vorausgesagt hatte, hatte Campino in den letzten Wochen das Wort "Fotzen" recht häufig benutzt, wenn er über einige der sich drückenden Musikerkollegen sprach. Natürlich, sagt er, würde er jede Absage respektieren, er könne die Gründe dafür ja auch irgendwie verstehen. Andererseits hatten andere Kollegen, von denen er es nie erwartet hätte, sofort zugesagt.
An diesem Montag also würde sich zeigen, wer wirklich kommt. Immerhin hat am Vorabend kurzfristig noch der Berliner Ragga-Star Peter Fox zugesagt. Campinos Kumpel Marten Laciny, bekannt als der Rapper Marteria, ist schon da, als Campino seinen Audi auf den Hof des Studios lenkt, genauso ein Ü-Wagen des RBB. Marteria hat schon wieder Lukas-Podolski-mäßig gute Laune, breit grinst er Campino entgegen, zieht ihn heran für eine Männerumarmung. Der Rapper, so scheint es Campino, ist stets gut aufgelegt, immer hat er Kraft, immer Zuversicht, hey, wird alles schon. Daran hatte Campino allerdings in den letzten zwei Wochen immer wieder erhebliche Zweifel gehabt.
Marteria hat ihm geholfen, den deutschen Text für das Stück zu schreiben und für Marteria werden sie jetzt, anders als ihre Kollegen in England, in die Weihnachtspop-Schnulze einen Rap-Teil einbauen, den er zusammen mit seinen Rapperkollegen Michi Beck von den Fantastischen Vier und Max Herre einrappen wird.
Während es in der ersten, gesungenen Strophe noch um die Weihnachtszeit geht, in der "die Nerven so schön blank" liegen und die "Läden leer gekauft werden", kommen in der zweiten Strophe, die Marteria mit einem an Jay-Z geschulten "Oh, Oh" ankündigt, die bösen Jungs, Marteria, Michi Beck und Max Herre: Sie lesen ihren Text vom Handy ab.
"Und du fliegst nur sechs Stunden weiter
Ärzte Schmerzen ohne Grenzen
Kleine Jungs in Barcelona-Shirts
Malen ihre Träume an die Wände
Es gibt so viel Zukunft, so viel Vielfalt
In all den 54 Ländern
Doch immer nur dieselben Bilder
Gelbe Schutzanzüge auf allen Sendern"
Den Text haben Campino, Marteria und Thees Uhlmann bis in die Nacht zuvor geschrieben und immer wieder verändert - es war schwierig, wie soll man über Ebola singen, wie den Afrikanern gegenüber Mitgefühl ausdrücken, ohne das es sofort komplett idiotisch klingt?
Der Grundgedanke des Songs "Do They Know it's Christmas?" besteht ja in der Klage, dass wir im Westen es uns an Weihnachten gut gehen lassen, während Afrika ständig mit irgendwelchen Katastrophen zu kämpfen hat, vor dreißig Jahren waren es Hungersnöte, heute ist es ein sich rasant verbreitendes Virus. Das ist natürlich zunächst ein nicht besonders komplexer Gedanke. Andererseits wollen Geldof und Campino ja keinen Leitartikel, sondern ein Stück Popmusik schreiben, was möglichst viele, viele Menschen hören, mögen und kaufen.
Die Musik zu dem deutschen Stück haben die Tote-Hosen-Produzenten Vincent Sorg und Tobias Kuhn in den vorherigen Tagen schon neu eingespielt. Die deutsche Version klingt ein bisschen rockiger, ein bisschen zackiger als die englische, außerdem haben wir bei den Deutschen zum Glück nicht so viele von diesen jubilierenden R&B-Stimmen, die immer klingen wie in der Castingshow. Den vorläufigen Songtext hatte Campino schon in den Tagen zuvor einmal eingesungen, damit die Gastsänger ungefähr wissen, wie die Melodie geht.
Nach und nach sollen nun die Campino-Zeilen durch die der Gastsänger ersetzt werden. Campino ist sich im Moment nicht sicher, ob am Ende eine für ihn bleibt - denn da liegt ja das nächste Problem, es scheint jetzt mehr Sänger als Zeilen zu geben. Da sind die drei erwähnten Rapper, dazu kommt noch Jan Delay, der allerdings seine Zeilen woanders einsingt und im Laufe des Tages schicken soll. Udo Lindenberg ist auch nicht hier, weil er am Hamburger Flughafen gerade mit einem Revolver im Gepäck erwischt wurde, er hatte seine Zeilen vorher auch schon geschickt. Peter Maffay kommt ins Studio, eine Tätowierung, die sich den Hals hochzieht, und ruft in die Runde, das sehe ja richtig nach Arbeit aus. Campino lacht, sein Job ist es auch, jedem hier ein gutes Gefühl zu geben.
Peter Fox hat noch die beiden Sänger seiner Band Seeed mitgebracht, Dellé und Boundzound, Steffi Kloß, die Sängerin von Silbermond ist da, genauso Joy Denalane, wenigstens eine richtige Soulstimme. Dazu dann Max Raabe, wieder so ein ganz eigener Klang, und Clemens, der 21-jährige Sänger mit der krächzenden Stimme des Folktronica-Duos Milky Chance aus Kassel, die mit "Stolen Dance" einen Welthit hatten und schon im US-Fernsehen in der Jimmy-Kimmel-Show eingeladen waren; Andreas Bourani, der nicht nur mit seinem Song "Auf uns" den deutschen WM-Hit beisteuerte, sondern vor allem wirklich singen kann - wie allerdings ziemlich viele hier, was Campino zu dem nachdenklichen Ausspruch verleitet: "Es ist echt unglaublich, was die hier alle drauf haben."
Überhaupt herrscht Klassenfahrtstimmung unter den Musikern, von denen einige normalerweise gar nicht besonders viel miteinander zu tun haben wollen. Als irgendwann im Internet das Video mit dem fertigen Song der englischen Kollegen zu sehen ist, gucken es sich alle zusammen an. Wer ist jetzt hier wer? Selbst für die Profis ist das nicht leicht zu erkennen. Klar, Bono, Chris Martin auch klar, da ist Sinéad O'Connor, aber welche sind jetzt die Jungen von One Direction? Das Schönste an die Charity-Allstar-Bands ist ja das Raten, wer wer ist und welche Stimme zu wem gehört.
Wenige Minuten nach Erscheinen ist der englische Song in den iTunes-Charts auf Platz eins eingestiegen und hat 1,2 Millionen Pfund eingespielt. Die deutsche Version soll am Freitag erscheinen, auch wenn es Campino am Montagabend um neun Uhr noch nicht ganz klar ist, wie das zu schaffen ist. Abmischen, digitalisieren, hoch auf iTunes, alles in drei Tagen?
Was ist jetzt mit Delay?
Um sieben Uhr hat Jan Delay immer noch nichts geschickt, inzwischen haben schon fast alle ihre Zeilen eingesungen, im Moment steht Peter Brugger, Sänger der Sportfreunde Stiller, hinter der Scheibe im Studio und singt immer wieder die Zeile "Du gehst durch den Dezember". Danach wird noch Wolfgang Niedecken singen - klar, ein solcher Song ohne Niedecken wäre wie ein amerikanischer ohne Bruce Springsteen - aber was ist jetzt mit Delay?
Campino muss den Laden zusammen halten, er schreibt eine SMS: "Kommt da noch was oder lässt du mich im Regen stehen?" Delay schreibt zurück: "Nicht im Regen. Am Glühweinstand." Eine Zeile, die Delay ursprünglich einsingen wollte, lautete: "Egal ob's regnet oder schneit, wir treffen uns am Glühweinstand". Er hat dann doch eine andere gewählt.
Es gibt nur kleinere Pannen, einer hat einen alte Version des Textes eingesungen, ein sehr bekannter HipHopper hat seinen eigenen Text geschrieben, gerappt und geschickt, kann natürlich nicht verwendet werden, wie sollte man das noch einbauen, und außerdem, wo kommt man da hin, wenn bei einem Charity-Song jeder sein eigenes Zeug schreibt und einschickt. Klarer Regelbruch, entscheidet Campino.
Ansonsten aber singt einfach einer nach dem anderen, jeder dieser Musiker hat das sofort drauf, nebenbei dreht Paul Ripke, der zuletzt die deutsche Fußballnationalmannschaft beim Sieg in Rio fotografiert hat, das Video. Inzwischen melden sich Musiker von sich aus und fragen, ob sie noch vorbeikommen können, ob es noch eine Zeile für sie gäbe. Zeile? Schwierig? Aber im Chor für den Refrain ist noch Bedarf.
Überhaupt der Chor, da hatte es zwei Gruppen gegeben: Die Chorgruppe am Morgen, in erster Linie bestückt mit älteren Punkrockern und Rappern. Der Chor am Nachmittag hatte mehr, Verzeihung, richtige Sänger aufzuweisen und auch wirklich mehr Schwung. Campino, als er sich den Vortrag der zweiten Gruppe - zu der er nicht gehörte - ansah, rief den Kollegen zu, sie sollten sich jetzt mal bitte nicht solch verbissene Mühe geben. Es sei auch nur ein Charity-Song. Dann lachte Campino und sagte: "Der ist doch an sich schon streberhaft genug."
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